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Die meisten Terror-Anschläge sind bis heute nicht aufgeklä


9mm

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Auch mehr als zehn Jahre nach der Selbstauflösung der RAF im April 1998 sind zahlreiche Fragen rund um die brutalste Terrorgruppe der bundesdeutschen Geschichte offen. Die meisten Anschläge der RAF sind bis heute nicht aufgeklärt, unbekannt ist weiterhin, wie die Gruppe im Inneren genau funktionierte, und auch die Rolle der Geheimdienste im Westen und im Osten bleibt unklar.

Die zwölf wichtigsten offenen Fragen:

1. Wie konnte Andreas Baader die RAF so total beherrschen?

Jedenfalls nicht mit seinem Intellekt. Politisch führte eindeutig Gudrun Ensslin die erste Generation der RAF an, das prominenteste Mitglied war die ehemalige Starkolumnistin Ulrike Meinhof. Trotzdem dominierte Baader die Gruppe stark. Der vaterlos aufgewachsene Bandenchef war ein charismatischer, dandyhafter Kleinkrimineller, als er in Berlin strandete, der von Zeitzeugen als rücksichtslos, egozentrisch und gewaltbereit beschrieben wird. Nachdem Baader 1967 damit gescheitert war, wie die Aktivisten der Kommune 1 zum Popstar der linken Szene aufzusteigen, suchte er andere Wege, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Seine Radikalität und sein Aktionismus (Baader: " Die quatschen, und ich bring's!") machten ihn offenbar anziehend. Hinzu kam das sorgfältig inszenierte Image vom Revolutionär: Laut dem frühen RAF-Aussteiger Peter Homann vermittelte Baader das Gefühl, das Überschreiten von bürgerlichen Gesetzen sei allein schon ein "revolutionärer Akt". Außerdem manipulierte Baader instinktiv die Schuldgefühle seiner Umgebung. Auf die Frauen der Gruppe, die Baader oft als "Fotzen" beschimpfte, wirkte er zudem erotisch anziehend.

2. Welche Rolle spielten der Verfassungsschutz und andere Geheimdienste?

Die bundesdeutschen Behörden haben sich im Kampf gegen den Terrorismus lange nicht gerade ausgezeichnet. Der Berliner Verfassungsschutz etwa hatte einen Agent provocateur namens Peter Urbach in die linksradikale Szene eingeschleust, dessen Rolle bis heute ungeklärt ist. Er soll heute unter neuer Identität irgendwo in Amerika leben. Jedoch wäre es falsch, die Entstehung der RAF auf das unglückliche Agieren der deutschen Geheimdienste zu schieben: Der Entschluss, im Untergrund mit den Mitteln des Terrorismus gegen den Staat zu kämpfen, fällten Horst Mahler, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und die anderen unabhängig von allen Einflussnahmen des Verfassungsschutzes - und als Baader gerade in Haft saß.

3. Unterstützte die Stasi den Terror der RAF von Anfang an?

Eindeutig, auch wenn Alt-Stasi-Kader mitunter das Gegenteil behaupten. Der Terrorist Hans-Jürgen Bäcker landete am 6. August 1970, also nach dem ersten Anschlag der RAF mit einem schwer verletzten Opfer, auf dem Ostberliner Flughafen Schönefeld. Die Stasi fischte ihn aus den Passagieren und verhörte ihn 24 Stunden lang. Bäcker war völlig ehrlich und sagte auch, dass er Westberliner Polizisten niederschießen würde und dass weitere "Aktionen" geplant seien. Die Stasi-Offiziere informierten ihren Minister Erich Mielke, dann ließen sie Bäcker über den Grenzübergang Friedrichstraße nach West-Berlin ausreisen - und gaben ihm sogar seine Waffe zurück. Einen Hinweis an die Westberliner Behörden gab es nicht. Die Unterstützung des RAF-Terrors währte bis 1989 - unter anderem durch die Möglichkeit, sich über den S-Bahnhof Friedrichstraße unbehelligt von der Mauer nach Ost-Berlin zurückzuziehen, durch freien Transit über den Flughafen Schönefeld in alle Welt, durch das jahrelange Verstecken ausstiegswilliger Terroristen und sogar durch Training an militärischen Waffen wie sowjetischen Raketenwerfern.

4. Was wurde aus dem Kronzeugen gegen die RAF, Gerhard Müller?

Der erste von den Terroristen ermordete Polizist, der Hamburger Zivilfahnder Norbert Schmid, starb am 22. Oktober 1971 wahrscheinlich durch einen Schuss aus der Pistole des damals 23-jährigen Gerhard Müller. Die Indizien für diese Erklärung des Tathergangs waren überzeugend. Trotzdem wurde Müller der Tat nie angeklagt, obwohl er im Juni 1972 festgenommen werden konnte. Das dürfte mit seiner Bereitschaft zusammenhängen, sich der Bundesanwaltschaft als Kronzeuge für den Stammheimer Prozess zur Verfügung zu stellen. Offenbar vollzog sich sein Sinnenwandel um die Jahreswende 1974/75 in Haft, also nachdem der Terrorist Holger Meins in Folge seines fortwährenden Hungerstreiks gestorben war. 1978 wurde Müller auf Bewährung freigelassen und bekam eine neue Identität, unter der er bis heute in den USA leben soll. Die Akten zu seinem Fall sind offiziell 1996 vernichtet worden.

5. Was wurde aus den verschwundenen Terroristinnen der Frühzeit?

Das Schicksal von drei mutmaßlichen Mitgliedern der Baader-Meinhof-Gruppe ist bis heute offen. Ingeborg Barz wollte laut dem Kronzeugen Gerhard Müller im Frühjahr 1972 aussteigen und soll daraufhin von Andreas Baader hingerichtet worden sein. Trotz intensiver Suche wurde ihre angeblich im Rheingau verscharrte Leiche nie gefunden. Nach anderen, unbelegten Spekulationen soll sie nicht getötet worden, sondern in den Irak geflüchtet sein. Ebenfalls spurlos verschwunden ist Angela Luther. Sie war mutmaßlich 1972 am Anschlag auf das US-Hauptquartier in Heidelberg beteiligt. Die Ermittler des Bundeskriminalamtes gehen seit Längerem davon aus, dass sie entweder tot ist oder unter einer sehr belastbaren falschen Identität im Libanon oder sogar in Deutschland lebt. Mit großer Wahrscheinlichkeit 1982 getötet wurde dagegen Ingrid Siepmann, genannt "Ina". Sie gehörte von Beginn an zum Kern der linksradikalen Szene in Berlin, unterstützte aber nicht die Baader-Meinhof-Gruppe, sondern die Bewegung 2. Juni. 1974 verhaftet, wurde sie 1975 gegen den entführten CDU-Politiker Peter Lorenz ausgetauscht. Sie schloss sich lokalen Terrorgruppen an und starb wohl bei einem Massaker in einem Flüchtlingslager im Libanon.

6. Wer tötete Siegfried Buback?

Obwohl mindestens ein halbes Dutzend Terroristen diese Frage sofort beantworten könnte, sieht es nicht danach aus, dass sie je geklärt werden soll: Das Schweigegebot innerhalb der RAF hält. Fest steht, dass Christian Klar, Knut Folkerts und Günter Sonnenberg direkt an den Vorbereitungen für den Dreifachmord in Karlsruhe am Gründonnerstag 1977 beteiligt waren. Vielleicht haben aber auch die Terroristen Stefan Wisniewski oder Verena Becker die tödlichen Schüsse abgegeben. Sie alle könnten die Antwort sofort geben, ebenso die damalige Chefin der Gruppe, Brigitte Mohnhaupt. Alle bis auf Klar sind in Freiheit, weigern sich aber zu reden. Der Einzige, der sich dazu äußert, ist Peter-Jürgen Boock, der aber ein höchst unzuverlässiger Zeuge ist und zudem gern in interpretationsbedürftigen Rätseln spricht. Der Bundesgerichtshof lehnte es ab, RAF-Terroristen in Beugehaft zu nehmen, um sie zu Aussagen zu zwingen. Es wäre auch aussichtslos gewesen, denn warum hätten sie auf einmal wegen nur maximal sechs Monaten zusätzlicher Haft reden sollen, nachdem sie bereits während ihrer oft mehr als 20 Jahre langen Haftstrafen geschwiegen haben?

7. Was geschah in der Todesnacht von Stuttgart-Stammheim?

Am frühen Morgen des 18. Oktober 1977 hörte Jan-Carl Raspe in seiner Zelle in Stuttgart-Stammheim mit einem improvisierten Radiogerät wahrscheinlich um 0.40 Uhr die Eilmeldung des Süddeutschen Rundfunks, dass die entführte Lufthansa-Maschine "Landshut" in Mogadischu erfolgreich befreit worden war. Bald darauf dürften sich die vier Terroristen im vermeintlichen Hochsicherheitstrakt, neben Raspe noch Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Irmgard Möller, über eine selbst gebastelte Gegensprechanlage verständigt haben, kollektiv Selbstmord zu begehen, ihren Freitod aber wie Mord aussehen zu lassen. Baader und Raspe schossen sich mit Pistolen, die zwei ihrer Anwälte in die Haftanstalt geschmuggelt hatten, in den Kopf. Ensslin erhängte sich an einem Lautsprecherkabel, während Irmgard Möller sich mehrfach mit einem Tafelmesser in die Brust stach, jedoch nicht tief kam und ihr Herz verfehlte. Sie war die Einzige, die verletzt überlebte. Seit Langem wird darüber spekuliert, dass es im Stuttgarter Innenministerium noch aussagekräftige, bisher geheime Unterlagen über die Todesnacht von Stammheim geben könnte. Was sich in den immer noch geheim gehaltenen Unterlagen wirklich befindet, ist jedoch unklar - eine Veröffentlichung im "Spiegel" von vergangener Woche jedenfalls enthielt kein überzeugendes neues Material. An dem dreifachen Selbstmord bestehen keine vernünftigen Zweifel: Baader, Raspe und Ensslin hatten zuvor mehrfach mit Suizid gedroht - und zugleich falsche Spuren gelegt, um ihren Sympathisanten gegenüber als Mordopfer zu erscheinen.

8. Wer tötete Hanns Martin Schleyer?

Die Bundesanwaltschaft weiß auf diese Frage bis heute keine Antwort. Sieben RAF-Mitglieder sind wegen ihrer Beteiligung an der blutigen Entführung zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden, drei weitere zu Gefängnis zwischen sieben und zehn Jahren. Da sie alle unzweifelhaft zu der terroristischen Vereinigung gehört hatten, die Schleyer entführt, seine Begleiter ermordet und schließlich auch die Geisel umgebracht hatte, stand ihr individueller Tatbeitrag juristisch nicht im Vordergrund. Am wahrscheinlichsten ist, dass der Arbeitgeberpräsident von Stefan Wisniewski und Rolf Heißler im belgisch-französischen Grenzgebiet regelrecht hingerichtet wurde. Die beiden Terroristen kamen nach 20 und 22 Jahren Haft 1998 und 2001 frei. Beide haben sich zu ihrer mutmaßlichen Beteiligung an diesem Mord öffentlich nie geäußert.

9. Was wurde aus den nicht entdeckten Erddepots der RAF?

Ende Oktober 1982 entdeckten Pilzsammler in einem Wald bei Frankfurt das Zentraldepot der RAF: zwei eingegrabene Plastikkisten mit zahlreichen Waffen, Geld, falschen Papieren und weiterem brisanten Material. Noch wichtiger aber waren die ebenfalls gefundenen Hinweise auf 17 weitere Depots. Elf davon fanden die Ermittler, an zweien wurden sogar Topterroristen festgenommen. Die übrigen sechs wurden nie entdeckt. Niemand weiß, ob andere RAF-Mitglieder sie womöglich leer geräumt haben oder ob sich noch immer Beweismittel und Unterlagen der RAF in deutschem Waldbogen liegen.

10. Warum hinterließ die "dritte Generation" keine Spuren?

Verglichen mit den Anschlägen der ersten und der zweite RAF-Generation gab es bei den Anschlägen zwischen 1985 und 1991 fast keine verwertbaren Spuren der Täter mehr. Über die Gründe kann man nur spekulieren: Vielleicht hatten Sympathisanten unter den RAF-Anwälten Ermittlungsergebnisse an die Illegalen weitergegeben, vielleicht vermittelte die Stasi ihnen bei ihren Ausbildungsaktionen kriminaltechnische Kenntnisse. Vielleicht hatten sich die RAF-Mitglieder aber auch selbst "fortgebildet". Jedenfalls ist kein einziger Anschlag der dritten Generation wirklich aufgeklärt, was vor allem mit der schlechten Spurenlage zusammenhängt.

11. Wer tötete Alfred Herrhausen?

Einen Anschlag neuer Qualität verübte die RAF am 30. November 1989 auf den Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen. Die Sprengkraft der Spezialbombe war so groß, dass sein massiv gepanzerter Mercedes zerfetzt wurde. Die Zündung erfolgte mittels einer selbst gebauten Lichtschrankenanlage - Hightech! Deshalb wucherten schnell Spekulationen, in Wirklichkeit könnten Geheimdienste aus Ost oder West den Banker "aus dem Weg geräumt" haben. Keinem einzigen RAF-Mitglied konnte eine Verbindung zu diesem Mord nachgewiesen werden, doch 1997 bestätigte die Terroristin Birgit Hogefeld in einem "Spiegel"-Interview indirekt, dass es sich um eine Tat der RAF gehandelt hatte.

12. Wie starb Wolfgang Grams?

Die wohl schlimmste Fahndungspanne in der Geschichte des Linksterrorismus geschah in Bad Kleinen am 27. Juni 1993. Obwohl 16 Spezialisten der GSG 9 eingesetzt waren und Dutzende weitere Polizisten, konnte nur die Terroristin Birgit Hogefeld festgenommen werden. Ihr Begleiter Wolfgang Grams dagegen ergriff die Flucht, erschoss einen Elitepolizisten, wurde selbst getroffen, stürzte vom Bahnsteig und starb auf den Gleisen. Doch obwohl RAF-Sympathisanten und zahlreiche Skeptiker sowie die Eltern von Wolfgang Grams immer wieder das Gegenteil behauptet haben, gab es nie ein belastbares Indiz dafür, dass die GSG 9 ihn aus Rache "hingerichtet" haben könnte. Ein "Spiegel"-Journalist, der das behauptet hatte, räumte später einen "schweren Fehler" ein. Wahrscheinlich hat Grams in für ihn aussichtsloser Lage Selbstmord begangen.

http://www.morgenpost.de

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