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Abrüstung im Nachttisch


9mm

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Brasilianer sollen ihre privaten Waffen abgeben und damit eine "Kultur des Friedens" schaffen

In Brasilien sterben Jahr für Jahr mehr als 34 000 Menschen durch Schüsse, ob bei Bandenkriegen in den Armenvierteln, Überfällen oder bei ausgearteten Familienstreitereien, die dort häufig mit der Waffe beendet werden. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht sogar von insgesamt 50 000 Opfern durch Gewalt in Großstädten. Die Zahl ist höher als die der Zivilisten, die pro Jahr im Irak getötet werden. Deswegen hat die brasilianische Regierung nun eine Kampagne gestartet, um die Zahl der Feuerwaffen zu reduzieren. Wer seine Pistole oder sein Gewehr abgibt, bekommt je nach Kaliber zwischen 60 und 185 Dollar und muss keine Strafverfolgung befürchten.

Justizminister Tarso Genro hofft, dadurch 300 000 Waffen aus dem Verkehr ziehen zu können. Er wolle, sagt er, eine "Kultur des Friedens", schaffen. 28 Millionen Dollar will er sich die Aktion kosten lassen. Tatsächlich gibt es in Brasilien aber eher einen ausgeprägten Waffenkult, beklagt die Nichtregierungsorganisation Viva Rio, die erfolglos für härtere Gesetze kämpft. Wer über 25 ist und ein Führungszeugnis vorlegt, kann eine Waffe im Prinzip problemlos erwerben. Bei einer Umfragen gaben 57 Prozent an, ohne Waffe fühlten sie sich schutzlos dem Verbrechen ausgeliefert.

2005 versuchte die Regierung des Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, das Waffengesetz zu verschärfen. Vorsichtshalber hielt er vorher eine Volksabstimmung ab. Die Frage, ob der Verkauf von Waffen an Privatleute verboten werden solle, beantworteten 64 Prozent mit Nein. Menschenrechtler und Künstler wie der Sänger Chico Buarque hatten sich für das Verbot starkgemacht, Wortführer der Gegner war das angesehene politische Magazin Veja. Sein Argument: Der Staat sei nicht in der Lage die Bürger zu schützen. Außerdem kauften Gangster Waffen nicht im Laden. Den Schmuggel könne ein Gesetz nicht unterbinden. Viva Rio schätzt, dass fast fünf Millionen illegale Waffen im Land im Umlauf sind. Brasilien hat eine der größten Waffenschmieden der Welt, die Lobby ist stark. Knarren im Alltag sind Brasilianer von Kindesbeinen an gewohnt. Laut einer UN-Studie hat ein Drittel der Kinder in der Schule schon mal eine scharfe Waffe zu Gesicht bekommen.

Das Problem existiert in vielen Teilen Lateinamerikas. In den früheren Bürgerkriegsländern Mittelamerikas etwa gehören Waffen zum Straßenbild. In Guatemala sitzt fast auf jedem Cola-Laster ein Wächter mit einer Pumpgun. Nicht wenige Wachleute zweckentfremden ihre Waffen nachts und konvertieren zu Verbrechern, schaffen also selbst die Nachfrage für das boomende Geschäft mit der privaten Sicherheit. Dem Staat als Schutzmacht traut kaum noch jemand etwas zu.

In Nicaragua bekommt man sogar alte Flugabwehrraketen sowjetischer Bauart problemlos auf dem Schwarzmarkt. Eine Rückrufaktion der Regierung brachte nur einen Teilerfolg. Ein Veteran, der heute Fotograf einer nicaraguanischen Tageszeitung ist, erzählt, er habe 1990 zu Kriegsende sieben Kalaschnikows zu Hause gehabt. Fünf habe er abgegeben, zwei aber behalten: "Man weiß ja nie."

http://jetzt.sueddeutsche.de

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